07 Juni 2009

Es gibt Ficksahne, Baby!

Gründe, warum ich blogge, fallen mit mittlerweile mindestens ebenso viele ein wie damals, wenn meine Mutter mich fragte, warum ich mir immer diese kranken und brutalen Filme ansehe. Neugier. Weil ich es kann. Weil alles andere so lahm ist. Um alte Artikel wie neu aussehen zu lassen und dem ewigen Print-Vergessen zu entreißen. Um die Schnauze zu halten und das Schweigen zu brechen, wann mir es passt. Weil die Überschriften und Bilder keinen eindeutigen Zusammenhang mit den Texten haben müssen. Um berühmt zu werden. Um anonym zu bleiben. Um anderen nachzueifern, die man selbst gerne liest. Um Teil zu werden eines Netzwerks. Um die Dinge bekannt zu machen, die ich liebe. Um über das Schreiben die Dinge lieben zu lernen. Um die Möglichkeiten des Internets kennenzulernen und technisch auf der Höhe der Zeit zu bleiben. Um mich nicht erinnern zu müssen. Um teilzuhaben an der Utopie einer Geschenk-Ökonomie. Um einen Spiegel zu haben, der mich immer im vorteilhaftesten Lichte zeigt. Um vom passiven Textkonsumenten zum aggressiven Textproduzenten umzusatteln. Weil man in meinem Alter ein Hobby braucht. Um beim zwanglosen Schreiben auf ökonomisch verwertbare Textideen zu kommen. Um unter einen Textproduktionsdruck zu geraten, der mich aus der Lethargie reißt und mich zwingt, die brachliegenden Gefilde der eigenen Ideen zu einem schönen Garten zu kultivieren. "Das ist nichts, wo man arbeitet, da gehe ich umher, habe Luft, kann verschiedene Pflanzen sehen. Ich bin nicht im Dschungel, nicht auf einem Acker. Ich bin in einer zivilisierten Natur." (Alexander Kluge)

Zu zivilisiert sollte es aber auch nicht sein. Eher wie der Garten, den Wenzel Storch vor Kurzem bei seinem Besuch in Hamburg beschrieben hat. Der lag hinter dem Haus, in dem Storch Mitte der 80er Jahre im sozialen Problemviertel Hildesheims seine erste Wohnung gefunden hatte. Im Erdgeschoss war ein Laden, aus dem schon am Morgen das Flaschenklirren aller Alkoholiker der Stadt erklang, die sich dann am Nachmittag in den Garten hinterm Hause an die Bäume stellten und pissten. Außerdem, Wenzel Storch hatte das alles fotografisch festgehalten, tauchten in diesem Garten auch immer wieder Autowracks und andere Schrotteile auf, die dann auf ebenso magische Weise wieder verschwanden. Ein Zaubergarten. Aus dieser verwunschenen Zone aus Pisse und Müll bildete sich vielleicht der erste zarte Keim jenes gigantischen Versuchs, eine eigene Welt zu schaffen, in der Mensch und Tier, Natur und Metall eine harmonische Einheit bilden, den man unter dem Titel Die Reise ins Glück nun auch auf DVD erstehen kann.

Als ich gestern in Der Bulldozer Gottes schmökerte, in dem Wenzel Storchs großartige Texte über seine pornografische Messdienerjugend, seine religiöse Petzi- und Karl-May-Verehrung und ganz viele schöne Schmuddelbilder zu finden sind, war ich begeistert, als ich entdeckte, dass eine Polle aus dem Garten von The Wayward Cloud in das Universum des Wenzel Storch herübergeweht war und dort Wurzeln geschlagen hatte. Es handelt sich um ein Zitat von Alan Moore zu seinem Porno-Epos Lost Girls: "Mein ursprünglicher Gedanke war, daß Dorothy die Erektion des Pferdes berührt, aber Melinda war das zu krude. Jetzt sieht man nur wie Dorothy ihre Hand ausstreckt." Eine Bildunterschrift aus Storchs wunderbarem Text "Ruckedigu, Ejakulat ist am Schuh" brachte mich dann auch auf die Idee für die heutige Headline.


Der Abend in Hamburg lief unter dem Titel "Das Universum des Wenzel Storch", und wenn ich es mir recht überlege, stelle ich mir The Wayward Cloud lieber als Universum denn als Garten vor. Womit ich vielleicht bei einem der wichtigsten Gründe fürs Bloggen angekommen bin. Ein Garten braucht ständige Pflege und Wässerung, ein Universum aber braucht keinen Gärtner mehr, es hält sich selbst am Laufen. Alles in ihm ist wohlgeordnet, die Dinge haben ihren Platz und folgen in ordentlicher Reihenfolge aufeinander. Im Idealfall entwickelt sich der Blog zu einem solchen eigenmächtigen Universum, über das nicht ich herrsche, sondern das mich freundlich und sinnvoll umhüllt und mir vorgibt, was ich zu tun habe.

Das ist ein Problem, das mich immer schon beschäftigt hat: Was als nächstes tun? Was lesen, was sehen? Eine der ersten Antworten, die ich mir auf diese brennende Frage als Heranwachsender gegeben hatte: Lese alle Diogenes-Taschenbücher in der Reihenfolge der Nummern auf dem Buchrücken. Das funktionierte wahrscheinlich glaube ich nur, bis ich zu den Büchern von Urs Widmer kam. Oder Friedrich Dürrenmatt, ich weiß es nicht mehr. Später wurden die Systeme ausgeklügelter, weniger linear. Ein zentraler Algorithmus, der ihnen allen zugrunde liegt, ist eine Regel, über die auch Michael Baute irgwendwann mal geschrieben hat: Wenn einem eine Sache zweimal begegnet, sollte man sich genauer mit ihr beschäftigen. Auch eine gute Vorgabe für Blogthemen. Vielleicht bildet sich ein roter Faden heraus, der im glücklichsten Falle ein wenig in die Zukunft hineinragt und dem ich nur noch zu folgen brauche.

Vielleicht sollte man alle diese Erklärungen, alle diese "Deshalbs", alle diese Versuche, das eigene Handeln und Fühlen zu erklären, auch mal getrost in die Tonne treten, und mit Rainer Knepperges ("Notizen zu zwei frühen Filmen von Maurice Pialat", Cargo 2/2009) der Welt entgegenschmettern: "Und trotzdem". Trotzdem dieser Blog. Trotzdem diese Filme. Das habe ich meiner Mutter damals auch immer gesagt.

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