05 April 2010

Guter schlechter Film

Anmerkungen zum Wahren, Schönen und Guten auf Zelluloid anlässlich der Reihe Bizarre Cinema #5
>> #4 50 Tote! // Assault on Precinct 13
>> #3 Penetra-, Muta-, Deformationen // Brian Yuzna
>> #2 Wo dein Geld ist // Blutiger Freitag
>> #1 Join Us // Evil Dead


Über William Grefes Stanley (1972)

Was noch zu schreiben wäre, ist eine Ästhetik des Trashkinos. Darin müsste der Versuch unternommen werden, dem Leser Kategorien an die Hand zu geben, mit denen er gute von schlechten schlechten Filmen unterscheiden lernt. Bei Bizarre Cinema kommt es hinterher oft zu Gesprächen, die sich vielleicht als Vorstudien zu einem solchen Buch begreifen lassen. Zu beobachten ist, dass die formalen und erzählerischen Unzulänglichkeiten vieler Filme, die Brüche, Lücken, ungelenken Schnitte, um die herum diese Werke organisiert sind, zwei auf den ersten Blick gegensätzliche Reaktionen zulassen: zum einen das Bedauern dieser Formlosigkeit, des Mangels am Kohärenz, der Implausibilität, häufig auch des Verrats an den eigenen Erzählvoraussetzungen. Zum anderen das Bejubeln des gerade aus dieser Formlosigkeit resultierenden Intensität bestimmter Szenen und Bilder, die, ungedämpft durch ästhetische, intellektuelle, psychologische Erklärungsmuster, den Betrachter mit voller Wucht erwischen. Die ungeheure Fülle an Formen und Genres der 70er Jahre erklärt sich vielleicht auch aus dieser Freiheit, die die Filmemacher damals hatten, sich den Aspekten eines Filmes zu widmen, die sie faszinierten (vielleicht nur eine einzige Einstellung), und den Rest gelangweilt, unmotiviert und schnell herunterzukurbeln.

In der noch zu schreibenden Ästhetik des Trashkinos müsste es darum gehen, die beiden Positionen zusammenzudenken. Statt den jeweiligen Film wie einen Grabbeltisch zu betrachten, auf dem viel Ramsch und einige Perlen formlos herumliegen, müsste an ihn die Frage gerichtet werden: Inwiefern hat dieses Werk die eigenen formalen Mängel, das Unvermögen der Darsteller, die Unzulänglichkeit der Tricks, das inkonsistente Verhalten der Figuren in eine Tugend verwandelt, indem er sie in eine Form zweiter Ordnung überführt hat, in eine Wahrheitssuche auf einem anderen Gebiet, als es psychologisierende, jede Szene vorbereitende und gefällig ausleuchtende Mainstream- oder Kunstfilme beackern. Ist es nur auf Lucio Fulcis Schlampigkeit zurückzuführen, dass in Ein Zombie hing am Glockenseil Tag und Nacht einander willkürlich abwechseln, manchmal sogar innerhalb einer Szene? Oder steckt hinter dieser Verletzung etablierter Continuity-Regeln eine formal ausgeklügelte Idee über das Zusammenbrechen aller Kategorien, zwischen Leben und Tod, Gut und Böse, Tag und Nacht?

William Grefes Stanley (1972) ist eine Billigproduktion, die ihre Form nicht trotz, sondern mit ihren beschränkten Mittel entwickelt. In der Nachfolge von Daniel Manns Ratten-Film Willard (1971) erzählt Stanley von einem sozialen Außenseiter, dem Halbindianer und Vietnamveteranen Tim, der in den Sümpfen Floridas in einer Art Kommune mit einer Handvoll Klapperschlangen lebt. Tim ist ein Vorläufer des von Werner Herzog in Grizzly Man porträtierten Timothy Treadwell, ein Verrückter, der glaubt, dass er, weil die Schlangen/Grizzlys ihn nicht töten, einer von ihnen ist. Stanley ist struktuiert durch den Kontrast dieses befremdlichen Tier-Werdens mit einem Mensch-Sein, das mit äußerster Konsequenz durch gegenseitige Ausbeutung, Gewalt, Hässlichkeit und groteske Eitelkeit gekennzeichnet ist. Da gibt es einen Unternehmer, der mit seinen dumpfen Gehilfen Schlangen jagt, dener er lebendig die Haut abzieht, um sie teuer zu verkaufen. Er ist geil auf seine Tochter, sein behaarter Körper lugt meist aus einem grellorangen Bademantel hervor. Einmal steht er in Shorts mit roten Herzchen vor einem Spiegel und trainiert mit den kleinsten Hanteln der Welt. Tims Mutter ist eine schmerzhaft unbegabte Tänzerin, die in ihrer ersten Szene ihren Sohn verführen will und später ihrer toten Karriere neues Leben einhauchen will, indem sie als tanzende Cleopatra Schlangen die Köpfe abbeißt. Angetrieben wird sie vom Besitzer des Ladens The Climax, ein widerwärtiger Schmierlappen in Kinder-Shorts. Und dann ist da noch ein debiler Flower-Power-Junkie namens Psycho, der nur auf zwei Reize reagiert: Schlangen und Indianer, die er bei Sichtung sofort massakrieren will.

Man könnte viel Zeit damit zubringen, die ökologischen, politischen, sozialen Botschaften zu entziffern, die in Stanley wie auf einem Grabbeltisch herumliegen, zu keinerlei kohärenten Form oder Aussage gefügt. Seine eigentliche Leistung liegt aber darin, dass er sich das unbeholfene Agieren der Darsteller, ihre geschmacklose Garderobe, ihre hässlichen Körper zunutze gemacht hat, um ein in sich geschlossenes Bestiarium des Mensch-Seins zu entwerfen. Es gibt keine Schönheit, keine Stimmigkeit in den Handlungen und Worten der Figuren, jede exaltierte, unpassende Geste, jede anzügliche, unpointierte Bemerkung, jedes jämmerliche Detail ihrer Umgebung bringt eindrucksvoll zum Ausdruck: Der Mensch ist ein aus der Natur herausgefallenes Geschöpf, ohne Grazie, voller Gier, ekelerregend. (Sogar die mangelnde Übereinstimmung der Lippenbewegungen mit den Äußerungen der Figuren in der deutschen Fassung unterstreicht diesen Eindruck.)

Eine Wendung, die auf der Handlungsebene ausgesprochen unplausibel ist, offenbart, dass auch Tim, der Tier-Werder, nicht der Widerpart dieses allgemeinen Egoismus ist, sondern nur eine pathologische Extremform davon. Eine junge Frau, die er in sein Schlangenreich entführt hat, erklärt ihm nach einer Liebesnacht ganz lapidar, dass seine Schlangen nicht seine Artgenossen sind, sondern seine Sklaven, die er an seiner Statt töten lässt und die er so behandelt wie sein befehlshabender Sergeant ihn in Vietnam einsetzte: als Mordmaschine. Diese Begegnung mit dem Realen lässt Tims fantasmatische Blase platzen, und er flüchtet sich in komplett in seinen Wahn, indem er nun auch das Mädchen töten will. Die Schlangen wenden sich gegen ihren falschen Sergeanten, ein Feuer zerfrisst die Hütte in den Sümpfen, und aus ihr heraus kriecht in einem wirklich grausigen Schlussbild Tim, sich am Boden entlangwindend und mit Verbrennungen am Körper, die wie die Musterung einer Schlange aussehen. Die Tier-Werdung, sie ist dann doch noch geglückt.

Demnächst auf Wayward Cloud: das große Tierhorror-Special!

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