11 April 2011

Der Monarch in seinem Reich

„In Deutschland, wo viele Menschen leben, arbeiten und es schwer haben, mit ihren Gefühlen zurechtzukommen, sucht ein Mann nach Zärtlichkeit und Liebe. Auf dieser Suche wurde er so schwer verletzt, dass er beschloss, in Zukunft keinem Menschen mehr zu trauen. Monarch ist Jahrgang 1939. Er ist einer aus der Generation, die im Krieg geboren und nach der Niederlage zur Schule gegangen sind. Nach der kleinkarierten Verbissenheit der Nazis kamen die Amis mit Kaugummi, Rock’n’Roll, Nylons, Coca-Cola und dem Einarmigen Banditen. Immer mehr Menschen arbeiteten an Maschinen und in Fabriken. Da sagte sich Monarch: Wenn ich schon an einer Maschine arbeiten soll, dann an einer, mit der ich spielen kann.“ (Einleitender Off-Text zu Monarch von Manfred Stelzer und Johannes Flütsch, 1978/79)
In dem Dokumentarfilm Monarch wird man Zeuge, wie beim Spiel an Automaten eine Utopie wahr wird, die aus ihrem realen Pendant, der industriellen Erwerbsarbeit, damals schon weitgehend verschwunden ist: dass ein Mann durch die präzise Koordination von Hand und Auge ein existenzsicherndes Auskommen gewinnen kann. Der Mann heißt Diethard Wendlandt, die Automaten waren Mint- und Mint-Super-Geräte, deren Münz-Gehalt er am Fallgeräusch eines Fünf- oder Zwei-Mark-Stückes erkennen und die er dann innerhalb einer Stunde durch perfekt getimtes Drücken der Stopp-Taste leerräumen konnte.


Nicht nur in seinem poetisch-präzisen Off-Kommentar, sondern auch in seinem genauen Blick auf die Wirklichkeit der BRD Ende der 1970er-Jahre ist Monarch verwandt mit den Filmen von Harun Farocki, in dessen Wie man sieht (1986) man verfolgen kann, wie erst die schaffende Hand des Arbeiters und im Zuge der weiteren Rationalisierung auch sein prüfendes Auge im industriellen Herstellungsprozess überflüssig gemacht worden sind. Der Monarch selbst ist ein Bruder im Geiste des von Farocki porträtierten Schriftstellers und Schmieds Georg K. Glaser, ein Künstler und Arbeiter zugleich. Beide verdienen ihr Brot mit präzise koordinierter Hand-Auge-Arbeit, in der ein außerordentliches Wissen über das bearbeitete Material respektive die bespielte Maschine aufgespeichert ist. Sterbende Künste beides, das Kupferschmieden nach Dinanter Tradition und das Spiel an den nach und nach durch eine neue Generation von Automaten ersetzten Mints. Handwerke, für deren Weitergabe sich kein zahlungskräftiger Schüler mehr findet. Glaser und Monarch herrschen selbst über ihre Arbeit und ihren Arbeitsplatz, die letzten Souveräne innerhalb der heraufdämmernden Dienstleistungsgesellschaft.

„Eines Tages sagte der Automat zu ihm:
Ich danke dir für deine Aufmerksamkeit.
Ich muss dir Geld geben, denn das ist alles, was ich kann.“


Handelt es sich um eine Doku oder ein Mockumentary? Ist eine solche Beherrschung des Apparats möglich? Im Forum des Goldserie e.V. – 1. Deutscher Verein der Münzspielfreunde wurden diese Fragen kontrovers diskutiert. Einige wollen ihm begegnet sein und bei der Arbeit zugeschaut haben, andere bezweifeln die Existenz des Monarchen und halten ihn für eine Erfindung. Gerade die Unwahrscheinlichkeit seiner Figur benutzt der Film geschickt für sein Porträt einer Gesellschaft, in der ein selbstbestimmtes Leben unmöglich geworden zu sein scheint. Die Souveränität des Monarchen lässt die Tristesse des ihn umgebenden Kneipen-Lebens umso deutlicher hervortreten.

„Um das Ziel, das Schlaraffenland zu erreichen, muss Monarch
sich durch einen Berg von deutscher Freizeit fressen.“


Gerne hört man den Ausführungen des Monarchen über seine Träume und Ziele, aber auch über seine Einsamkeit und die Härten seiner Betätigung zu, die im Verlaufe des Films mehr und mehr wie die Arbeit eines jeden Kleinunternehmers klingt, dem die laufenden Kosten (Maßanzug, Hotelzimmer, die Entlohnung seiner Untergebenen, der sogenannten „Geier“) über den Kopf wachsen. Wegen des schweren Münzgeldes im Kofferraum bricht die Achse seines Mercedes, eine Szene, die Christian Petzold in Jerichow verwendete (Petzold über Monarch: „Dieser Film traf damals unsere Weltwahrnehmung“; Jerichow läuft am Mittwoch, 13.4. um 22 Uhr auf Arte). Das Freizeitvergnügen wird zur Vollzeitarbeit, die jedes Freizeitvergnügen unmöglich macht. Um die Existenz für die Ruhestands-Zeit zu sichern, wenn sämtliche Mints aus den Kaschemmen der Republik verschwunden sind, wird für den Moment auf die Liebe und jede Form lebenswerter Existenz verzichtet.



Analog zum Bankraub lässt sich über das Glücksspiel vielleicht als eine klassenspezifische Form des Gelderwerbs nachdenken, in deren Praxis sich bestimmte Elemente realer Arbeit wiederfinden:

1. Automaten (Einarmiger Bandit, Mint), Glücksspiel der Arbeiter: Bedienung einer Maschine, nur ein kleiner Teil von Körper und Geist ist gefordert. Reste von Hand-Auge-Koordination, Reaktion auf wiederkehrende akustische und optische Reize. Jeder spielt für sich allein, keine Kooperation, kein Bewusstsein für Arbeitsteiligkeit. Kleine Einsätze, kleine Verluste, geringe Verdienstmöglichkeiten. Zigaretten, Bier und Sol-Eier. Bevorzugter Ort: Nachbarschaftskneipe. Münzgeld.


2. Poker, Glücksspiel für Angestellte, von den untersten Positionen bis zum mittleren Management: gemeinschaftliches Spiel mit der zugrundeliegenden Idee, dass alle die gleichen Chancen haben. Selten verwirklichter Traum, nach oben zu kommen, häufig verwirklichte Ängste, abzustürzen und alles zu verlieren. Utopie der Beherrschbarkeit, die sich vor allem aus buchhalterischen und statistischen Kalkulationen speist und aus dem Glauben, dass, wenn man es vorsichtig betreibt, man leben kann von dem Spiel. Höhere Einsätze und Verluste. Joviale Atmosphäre, die Rivalität und Missgunst nicht immer überdecken kann. Möglichkeit zu Gespräch und Kooperation (nicht häufig genutzt). Whisky und Zigarren, Big-Boss-Simulation. Münzgeld, Scheine oder Chips.

3. Roulette und andere Spielcasino-Vergnügungen mit hohen Einsätzen, Glücksspiel für die Reichen: Spiel als reine Spekulation, die mit mildem Desinteresse, aber in perfekter Abendgarderobe verfolgt wird. Die wirklich wichtigen Gespräche und Deals finden abseits der Tische statt. Aufmerksamkeit, Koordination, Systeme sind unnötig, dienen nur der Würze des sonst allzu faden Spiels. Cocktails. Chips.

Mit Dank an docfish, der mich auf Monarch aufmerksam gemacht hat.

Keine Kommentare: