10 August 2013

„Es gibt keinen Ersatz für die Realität“

Mike Elizalde und seine 1994 gegründete Firma Spectral Motion machen Spezialeffekte auf traditionelle Art und Weise: Mit ihren Händen schaffen sie aus Kunstharz, Metall und Holz Kreaturen, die auf der Leinwand zum Leben erwachen, zum Beispiel in Guillermo del Toros Hellboy 1&2, Joe Cornishs Attack the Block und David Gordon Greens Your Highness. Die Arbeit mit Materialien ist teurer und langwieriger als die Arbeit am Computer, aber Elizalde ist überzeugt: Man sieht den Unterschied auf der Leinwand. The Wayward Cloud traf Elizalde in Los Angeles zu einem Gespräch über den Prozess des Monstermachens, die Kunst, in einem Ganzkörperkostüm zu performen, und die Arbeitsteilung zwischen analogen und digitalen Effektefirmen bei Großproduktionen wie Pacific Rim. (Dieses Interview ist in leicht gekürzter Form in epd Film 8/2013 erschienen.)

Ron „Hellboy“ Perlman, Guillermo del Toro, Mike Elizalde (von links)

The Wayward Cloud: Herr Elizalde, wie würden Sie Ihren Job beschreiben?

Mike Elizalde: Meine Leidenschaft besteht darin, Kreaturen zu erschaffen, die echt aussehen und leben und atmen. Ob ich nun ein Kostüm und ein Make-up kreiere, in dem ein Schauspieler agiert, ob ich eine von Hand oder per Fernsteuerung bewegte Puppe animiere, das Wesentliche für mich besteht darin, dass ich das Wesen anfassen, riechen, auf es reagieren kann. Es besteht aus Atomen, Molekülen, Zellen, was nicht nur für den Designer, sondern auch für die Schauspieler und Zuschauer eine große Wucht hat. Aber Spectral Motion hat nicht nur Kunden aus der Filmbranche, sondern auch Aufträge von Themenparks, Fernsehsendern oder Privatpersonen. Wir können alles herstellen, Monster, Roboter, Fahrzeuge, Kostüme. Wir gestalten Make-ups, bauen animatronische Puppen, entwickeln neue Materialien und Konzepte. Für die Show Robot Combat League des TV-Senders Syfy haben wir zum Beispiel zwölf knapp drei Meter große, hydraulische Roboter gebaut, die sich reihum zu Klump hauen. Die Konstruktion dieser von menschlichen „Robo-Jockeys“ gesteuerten Roboter ist eine komplexe Aufgabe, die man nur lösen kann, wenn man eng vernetzt ist mit den unterschiedlichsten Firmen und Industrien.

Wie detailliert sind die Wünsche der Regisseure, die zu Ihnen kommen?

Die Bandbreite reicht von vagen Beschreibungen im Skript bis zu detaillierten Storyboards. Oft haben wir nichts weiter als knappe Drehbuchpassagen wie: „Der Dämon trat aus dem Schatten.“ Das ist für uns die angenehmste Basis, weil wir die Kreaturen von Grund auf selbst gestalten und entwickeln können, die meisten Regisseure begrüßen das. Tommy Wirkola zum Beispiel, der Regisseur von Hänsel und Gretel: Hexenjäger, wollte, dass wir uns an der nordischem Mythenwelt orientieren, ansonsten hatten wir freie Hand: „Sagt ihr mir, wie meine Geschöpfe aussehen werden.“ Die Ausnahme ist jemand wie Guillermo del Toro, der am Beginn seiner Karriere selbst als Effekt- und Creature-Designer gearbeitet hat. Guillermo kommt mit detaillierten Zeichnungen zu uns ins Studio und mit sehr genauen Vorstellungen, wie sie umzusetzen sind. In den meisten Fällen sind die Storyboards allerdings nicht sehr detailliert, was den Look der Monster angeht, die Actionsequenzen geben uns aber Hinweise auf die Bewegungsabläufe, also auch darauf, welche Art der Animation am geeignetsten ist. Wenn ein spinnenartiges Wesen zu sehen ist, das am Boden entlangkriecht, ist klar, dass wir eine Puppe brauchen, da kein Schauspieler dünn genug für ein entsprechendes Kostüm ist.

Mike Elizalde arbeitet an einer Nosferatu-Büste

Welches sind die nächsten Schritte, um das Wesen lebendig werden zu lassen?

Die relevanten Skript- und Storyboard-Stellen kriegt unser Designteam, das daraus erste Zeichnungen anfertigt. Wenn diese Entwürfe vom Regisseur und der Produktionsfirma abgesegnet wurden, bauen wir eine sogenannte Maquette, eine circa 50 bis 80 Zentimeter große Plastik aus Kunststoffharz. Diese Figur, die bis ins kleinste Detail ausgeführt und bemalt wird, dient dann zur Endabnahme vonseiten der Produktionsfirma. Regisseur, Produzent und Produktionsdesigner können sich anhand der Maquette sehr plastisch den Charakter und die Möglichkeiten der Figur vorstellen. Vom ersten Meeting bis zur Fertigstellung der Maquette vergehen meist vier bis fünf Wochen. Wir könnten sie auch in zwei Wochen fertig haben, wenn nicht jeder einzelne Designschritt abgesegnet werden müsste. Täglich mailen wir Zeichnungen und Fotos an die Produktionsfirma, und manchmal lässt die Antwort auf sich warten, weil so viele verschiedende Abteilungen mitreden wollen. Idealerweise kommen die Regisseure zu uns, um die Entwürfe und Ideen zu besprechen, aber meistens haben sie zu wenig Zeit.

Ist der Regisseur Ihr einziger Ansprechpartner?

Wir haben es außerdem noch mit den Produzenten zu tun und ganz selten mit dem Produktionsdesigner. Als ich für die Arbeit an Hänsel und Gretel in Babelsberg war, habe ich festgestellt, dass in Europa die Arbeitsteilung nicht ganz so strikt ist wie in den USA, wo die einzelnen Departments kaum etwas miteinander zu tun haben.

Arbeiten Sie auch mit den Schauspielern?

Mit den Schauspielern haben wir erst am Set zu tun, wenn sie mit unseren Kreaturen interagieren. Die Darsteller allerdings, die unsere Kreaturen verkörpern und die in unsere Kostüme schlüpfen, suche ich meist selbst aus. Es gibt in dieser Branche nur eine kleine Gruppe handverlesener Profis, die es in so einem Ganzkörperkostüm nicht nur längere Zeit aushalten, sondern darin auch noch performen können. Sie sind sehr stark, sehr athletisch, nahezu unkaputtbar. Jemand wie Doug Jones zum Beispiel, der den Engel des Todes in Hellboy II gespielt hat. So ein Kostüm ist nicht nur verdammt schwer und nicht im geringsten atmungsaktiv, es hat auch keine Sicht- oder Höröffnungen, der Darsteller kann also nichts sehen, hören oder fühlen. Er arbeitet in einem totalen Vakuum, muss also den gesamten Szenenablauf bis auf die letzte kleinste Geste verinnerlichen. Es setzt mich immer wieder in Erstaunen, was diese Männer leisten.

Mark Setrakian (links), Mike Elizalde (mit Fernbedienung) und Guillermo del Toro
prüfen den Höllenhund Samael aus Hellboy

Stan Winston soll die Grimassen und Bewegungen der von ihm erschaffenen Kreaturen vor dem Spiegel geübt haben. Schlüpfen Sie auch in die Haut der Wesen, die Sie erschaffen?

Das geht gar nicht anders. Wenn man eine Kreatur verstehen will, muss man wissen, wie sie sich bewegt, was sie für Fratzen reißen kann, welche Gesten sie auszeichnen. Jeder Monster-Designer, der etwas auf sich hält, ist zugleich ein Darsteller, der vor dem Spiegel seine neueste Kreatur verkörpert. Der Prozess ist vergleichbar mit dem eines Schauspielers, der sich auf eine Rolle vorbereitet: Ich stelle Nachforschungen an, ich horche in mich hinein, bediene mich meiner eigenen Emotionen, um die Kreatur besser zu verstehen und ihr einen glaubwürdigen Charakter zu verleihen. Und sehr oft sind es auch wir, die Designer, die den von uns erschaffenen Wesen vor der Kamera mit unseren Körpern Leben einhauchen, indem wir selbst in Kostüme steigen oder sie mit unseren Händen und Füßen bewegen. Man muss sich nur während eines Drehs die Puppenspieler ansehen: Sie durchleben mit ihrer Mimik und ihrer gesamten Körperhaltung alles, was den von ihnen zum Leben erweckten Kreaturen gerade widerfährt. Nur wenn man als Animator hundertprozentig hinter der Emotion steckt, wird diese auch für den Zuschauer spürbar. Und für die anderen Schauspieler, die ein reales Gegenüber haben, was ihnen wiederum erlaubt, ihre eigene Performance glaubhafter zu gestalten.

Wie ist es, wenn Sie Ihre Kreaturen zum ersten Mal im fertigen Film sehen?

Das ist für mich genauso aufregend wie für die Schauspieler. Es gibt Premieren, bei denen ich gebannt meinen eigenen Schöpfungen zuschaue, als ob ich sie zum ersten Mal sehe, und es gibt Premieren, bei denen ich vor Scham im Boden versinken möchte. Meistens ist es aber ein großer Genuss zu sehen, wie unsere eigene Arbeit nahtlos in das Gesamtwerk integriert wurde und zum Funktionieren der Geschichte beiträgt.

Benutzen Sie digitales Equipment?

Es gibt eine Reihe von Arbeitsschritten, bei denen Computer unsere Arbeit erleichtern. Zum Beispiel nutzen wir Illustrations-Software für die vielen Zwischenschritte bei der Ausarbeitung des Designs der Figuren und des Artworks. Wir setzen digitale Kameras und Bildbearbeitungsprogramme ein, um unsere Entwürfe zu dokumentieren und zu versenden. Bei unseren animatronischen Puppen nutzen wir Computer, um die entsprechenden Kalkulationen und Daten in eine CNC-Maschine (Computerized Numerical Control) einzuspeisen, die uns dann die nötigen Bauteile zuschneidet und fräst. In seltenen Fällen nutzen wir Software zur Previsualisierung, also zum Erstellen einer dreidimensionalen Animationssequenz, anhand derer wir zeigen können, wie ein Gerät oder ein Geschöpf aus verschiedenen Blickwinkeln aussehen und sich bewegen wird. Manchmal lassen wir auch Komponenten von 3-D-Druckern erstellen, aber um die Wahrheit zu sagen: Am liebsten modelliere und baue ich alles selbst. Mit meinen Händen das Material zu formen gibt mir das Gefühl, als ob ich einen Hauch meiner Seele in die Kreatur einfließen lasse. Klingt vielleicht kitschig, aber so fühlt es sich für mich an.

Mike Elizalde mit Wink aus Hellboy 2

Welche Effekte funktionieren besser auf materieller Basis, und welche sollten digital gemacht werden?

Ich finde, dass organische Monster und Kreaturen am besten funktionieren, wenn sie aus einem richtigen materiellen Leib geformt werden. Fleisch, Blut, Knochen sollte man nicht digitalisieren, sondern zusammenrühren und -kleben, damit sie auf das Publikum wirken. Mechanische Wesen und Vehikel wie Roboter und Raumschiffe hingegen lassen sich sehr eindrucksvoll am Computer erschaffen, weil ihre Ausdrucksmöglichkeiten von vornherein reduziert sind und der Zuschauer keinen Vergleich mit dem realen Ding hat. Ich bin überzeugt, dass das Publikum auch trotz fortschrittlichster CGI-Effekte den Unterschied immer noch sofort erkennen kann.

Wie funktioniert bei einem Film in der Größenordnung von Pacific Rim, an dem verschiedenste Firmen beteiligt sind, die Arbeitsteilung zwischen handgemachten und digitalen Effekten?

Der Grund dafür, dass in Pacific Rim sehr viele digitale Effekte eingesetzt wurden, liegt in der schieren Größe der Kreaturen und Maschinen, die in dem Film aufeinandertreffen. Es war von vornherein klar, dass die Riesen-Monster und die Mecha-Roboter nicht in voller Größe gebaut werden können. Auch die andere analoge Alternative, die Godzilla-Variante, also das Bauen kleiner Modelle, kam nicht infrage, da es unheimlich schwierig ist, die Dynamiken von Explosionen, Wasserfluten, Feuersbrünsten in verkleinerten Modellen zu reproduzieren. Es gelingt nur selten, das präzise hinzubekommen, wie zum Beispiel in Roland Emmerichs Independence Day, wo mit Miniaturen gearbeitet wurde. Für Pacific Rim haben wir die „Kaiju“ genannten Monster und die „Jaegers“ genannten Roboter entworfen und die entsprechenden Maquetten gebaut. Diese haben wir an digitalen Effekte-Firmen weitergegeben, die unsere Modelle benutzten, um daraus digitale 3-D-Versionen zu programmieren, die sie in jedem gewünschten Maßstab skalieren können. Mit unseren Maquetten konnten sie herausfinden, wie sie bei unterschiedlichen Lichtquellen aussehen, sie können sie mit Wasser bespritzen etc.

Haben die unterschiedlichen Entstehungsprozesse von analogen und digitalen Effekten auch Auswirkungen auf die Imagination des Schöpfers?

Ich glaube, der Unterschied betrifft den gesamten künstlerischen Schaffensprozess. Entscheidend ist immer die Frage, wie viel Zeit und Arbeit man investieren will, um die beste Lösung, den besten Satz, die beste Geste, das beste Kostüm, das beste Monster für einen Film zu erschaffen. Heutzutage wird leider viel zu oft auf die einfachste, schnellste und billigste Lösung gesetzt, und das ist leider meistens die digitale Technologie. Dabei will ich gar nicht das großartige Potenzial dieser Technik infrage stellen, aber sie wird sehr oft benutzt, um Löcher in Drehbüchern, fehlende Designkonzepte oder andere während des Drehs auftauchende Probleme dadurch zu umgehen, dass man die Lösung auf die Postproduktion verschiebt. Handgemachte Effekte zwingen einen dazu, die Probleme dann gemeinsam zu lösen, wenn sie auftauchen. Ich kann mir einige dieser von digitalen Effekten strotzenden Filme gar nicht angucken, nicht nur wegen der lieblosen Effekte, sondern weil ich sofort sehen kann, welche Story-Löcher mit ihnen zugedeckt werden sollen. Ein guter Effekt sollte wie ein guter Zaubertrick sein: Man sieht all die Dinge, aus denen er gemacht ist, aber man sieht nicht, wie er gemacht ist. Ich glaube, ich bin auch schon lange nicht mehr der Einzige, den digitale Effekte im Kino kalt lassen. Im Zuge der 3-D-Technologie ist eine riesige Blase an CGI-Effekten entstanden, aber ich glaube, dass sich das auch wieder ändern wird. Die Zuschauer begreifen langsam wieder, dass handgemachte Effekte schlichtweg besser sind.

Erster Bewegungstest von Edward dem Troll 
aus Hänsel und Gretel: Hexenjäger

Findet auch in den Studios ein Umdenken statt?

Oh ja, Hänsel und Gretel ist ein gutes Beispiel dafür. Es gab lange Diskussionen darüber, ob der große Troll digital kreiert werden soll. Tommy Wirkola und der Produzent Kevin J. Messick haben sich von Anfang an vehement dafür eingesetzt, dass wir den Troll zum Leben erwecken, mit einem Schauspieler, Make-up und einem gigantischen animatronischen Puppenkopf. Sie wiesen gegenüber dem Studio immer wieder darauf hin, dass digitale Effekte niemanden mehr hinter dem Ofen hervorlocken. Sie setzten sich durch und behielten recht: Edward der Troll ist einer der entscheidenden Gründe für den Erfolg des Films. Vor allem habe ich mich gefreut, als ich Interviews mit den Hauptdarstellern Jeremy Renner und Gemma Arterton las, die davon schwärmten, wie erfrischend es für sie war, mit einem echten Gegenüber zu spielen statt mit einem Tennisball an einem Stock. So sieht nämlich Schauspielerei für CGI-Sequenzen meistens aus: „Hier, schaut immer da hin, wo der Tennisball ist, das sind die Augen des Monsters.“ Es gibt keinen Ersatz für die Realität. Jedenfalls für meine Realität.

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